Milchmädchenrechnungen

Der Beruf ist ausgestorben. Der iCore einer Melkmaschine rechnet besser. Der Hersteller GEA-Group setzte letztes Jahr 4,6 Milliarden € um, davon könnte man jährlich über 300.000 Milchmädchen entlohnen; mehr, als es Grundschullehrkräfte gibt. Dennoch sind Milchmädchenrechnungen häufig. Jeden Tag wird uns vorgerechnet, wie sich die Zukunft entwickelt, was es kostet und was man tun muss, um dies oder dass zu erreichen oder zu verhindern. „Bis Sommer bekommen alle ein Impfangebot“ und verwirrend: „Eltern mit Kindern müssen mehr in die Rentenkasse einzahlen, weil ihre Kinder mehr schädliches CO2 produzieren.“

Die Rechenart stammt von Jean de La Fontaine, der 1621 geboren wurde. In Fabeln schildert er ein Milchmädchen, das einen Topf Milch zu Fuß in die Stadt brachte und sich dabei ausmalte, was sie sich alles von dem Geld leisten wird. Je länger der Weg, desto größer die Träume. Der Überschwang macht übermütig, sie stolpert und verschüttet die Milch. Aus der Traum. Theoretisch können wir jeden Schatz der Welt gewinnen, aber die Realität bleibt hinter den Luftschlössern zurück.

Eindrücklich schildert eine zweite Fabel einen Pfarrer, der sich auf dem Weg zur Bestattung ausrechnet, was er sich von den Gebühren kaufen wird. Der Wagen zerbricht und der Sarg erschlägt ihn: „Dem Pfarrer, der auf Leichen zählt, Macht's mancher ähnlich nach. Das hat euch schon der Schwank erzählt / Vom Milchtopf, der zerbrach.“

Die Bibel kennt das auch, verspricht „Ein Land in dem Milch und Honig fließt“ und weil es sich bis heute so nicht erfüllt hat, warten wir weiter auf die Zukunft, die uns verheißen ist. Darüber werden manche wütend oder depressiv, weil „wir belogen und betrogen“ werden. Andere verlieren die Gegenwart aus den Augen und hoffen auf „wenn wir im Ruhestand sind.“ Beides nicht gut. Mir sind bereits die nächsten Minuten so wichtig, dass ich keine Zeit für egal welche Zukunft habe und auch nicht ob die Gegenwart vergangenen Prophezeiungen entspricht. Lebe heute!